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Die Verbrechen der anderen...

Der Wunsch, die Beschäftigung mit nationalsozialistischen und faschistischen Verbrechen zu beenden und sich statt des auf vermeintliche und tatsächliche Verbrechen der "anderen" – der Alliierten, der PartisanInnen, des Widerstandes – zu konzentrieren, lässt sich in den letzten Jahren in einer Reihe von Ländern beobachten. In Österreich hat diese Sichtweise Tradition – und in der spezifischen Kärntner Geschichtserzählung nimmt sie einen besonderen Platz ein...

Grundsätzlich ist das Phänomen, mit dem sich dieser Artikel beschäftigt, nicht auf Kärnten/Koroška – ja nicht einmal auf den deutschsprachigen Raum – beschränkt, sondern in vielen Ländern mit nationalsozialistischer, faschistischer oder Kollaborationsgeschichte zu beobachten. Von Italien, über Slowenien und Ungarn, bis zu den baltischen Staaten lassen sich Versuche einer Verharmlosung oder gar Glorifizierung des "heimischen" Faschismus und der Kollaboration mit dem Nationalsozialismus beobachten, die stets mit dem Hinweis auf stalinistische Verbrechen verbunden sind. In Deutschland wird seit Jahren der Bombardierung Dresdens durch die britische Luftwaffe auch von offizieller Seite gedacht, wobei die historischen Fakten oft kräftig zurecht gebogen werden. Und in Österreich ist die unsägliche Debatte über die so genannten "Vertriebenen", die im Zusammenhang mit dem tschechischen EU-Beitritt und dem AKW Temelín aufbrach, noch in ebenso unangenehmer Erinnerung, wie die peinlichen Inszenierungen des "Gedankenjahres" 2005 – von licht- und lasergenerierten Assoziationen zur "Bombennacht", bis zu Kühen und Gemüsefeldern in der Wiener Innenstadt. In Kärnten/Koroška sind es über die allgemeine österreichische Befindlichkeit hinaus spezifische regionale Themen, die den Umgang mit der Vergangenheit bestimmen und rechts-revisionistischen Geschichtsdeutungen Tür und Tor öffnen. Zu nennen sind hier angebliche "Partisanenverbrechen" im Allgemeinen und die Geschichte der so genannten "Verschleppten" im Besonderen.

Alles Opfer?
Eine Kurzfassung der historischen Fakten: Im Frühling 1945 wurden 263 Personen aus Kärnten (dazu kamen noch mehr als 150 Personen aus der Steiermark, sowie weitere 32 aus dem NS-Besatzungsapparat in Oberkrain, im heutigen Slowenien – ihr Schicksal wird hier ausgeklammert von der jugoslawischen Armee über die Grenze gebracht, wobei vier Personen bald nach ihrer Verhaftung zu Tode kamen – zwei davon wurden nachweislich ermordet. 163 kehrten nach einigen Monaten nach Kärnten zurück, 96 galten als "vermisst". Diese 96 fielen mit großer Wahrscheinlichkeit in Jugoslawien Hinrichtungen (zumeist ohne Gerichtsverfahren) zum Opfer oder verstarben in Internierungslagern.

Die jugoslawische Armee dürfte bei den Verhaftungen anhand von unmittelbar vor Kriegsende angelegten Listen vorgegangen sein, die zum Teil noch durch Angaben von Ortsansässigen – darunter durchaus auch ehemalige NS-SympathisantInnen oder NSDAP-Mitglieder, die sich rasch den geänderten politischen Verhältnissen anpassen wollten – ergänzt wurden. Rein rechtlich betrachtet überschritt die jugoslawische Armee dabei ihre Kompetenzen, da die jugoslawischen Behörden nur für diejenigen Nazis zuständig gewesen wäre, denen Kriegsverbrechen auf jugoslawischem Gebiet zur Last gelegt wurden. Feststeht allerdings, dass es sich zumindest beim Großteil der Verhafteten um führende lokale VertreterInnen und AnhängerInnen des NS-Regimes handelte – der Anteil der "ParteigenossInnen" unter den Vermissten betrug 77 Prozent – sowie teilweise um Personen, die sich bei den Deportationen slowenischer Familien aus Kärnten im Jahr 1942 besonders hervorgetan hatten. Dass auch Willkür, persönliche Feindschaften und Rache eine Rolle spielten, kann nicht verwundern. Unbestreitbar ist auch, dass das "Verschwinden lassen" und die Hinrichtung eines großen Teils der Vermissten ohne Strafverfahren – in den folgenden Jahrzehnten behaupteten jugoslawische Stellen konsequent, die betreffenden Personen hätten sich nie in Jugoslawien aufgehalten und seien erst recht nicht dort verstorben – ein Verbrechen darstellt. Wer allerdings nicht das Geschäft rechts-revisionistischer Kreise betreiben will, sollte spätestens hier eine kurze Denkpause einlegen und sich den Kontext dieser Verbrechen in Erinnerung rufen: Im Hinblick auf die nationalsozialistischen Untaten – im Zusammenhang etwa mit der Deportation von fast tausend slowenischsprachigen KärntnerInnen, der Vernichtung der jüdischen Gemeinde, den Euthanasieverbrechen im Klagenfurter Landeskrankenhaus, der nationalsozialistischen "Bandenbekämpfung" oder den Konzentrationslagern im Land – scheint große moralische Empörung mehr als unangebracht. Noch deutlicher wird die Unverhältnismäßigkeit, wenn mensch einen Blick über die slowenische Grenze wirft. Im von den Nazis an den "Gau Kärnten" angeschlossenen "Oberkrain" und der dem "Gau Steiermark" angeschlossenen "Untersteiermark" waren fast 600.000 Menschen entwürdigenden "rassischen Musterung" durch das "Rasse- und Siedlungshauptamt" der SS unterworfen. An die 80.000 SlowenInnen wurden deportiert, bevor der bewaffnete Widerstand und der Kriegsverlauf die Pläne der NationalsozialistInnen durchkreuzen konnten. Die "Bandenbekämpfung" wurde mit unglaublicher Brutalität durchgeführt: schon im September 1941 erging der Befehl an die Wehrmacht, für jeden verletzten 50 und für jeden toten deutschen Soldaten 100 slowenische Geiseln zu erschießen. Im weiteren Kriegsverlauf machte die ab 1943 eigens für die "Partisanenausrottung" eingesetzte SS Karstwehr mindestens 11 Dörfer im heutigen Slowenien – nach der italienischen Kapitulation im Oktober 1943 besetzten deutsche Truppen auch den Süden des Landes – völlig dem Erdboden gleich. Dazu kam, dass die slowenische Gesellschaft selbst zwischen em Widerstand der "Osvobodilna ronta" (OF, "Befreiungsfront") und der, esonders von der katholischen Kirche ropagierten, Kollaboration tief gespalten war. Racheaktionen, die zum Teil auch den Charakter politischer Säuberungen annahmen, standen 1945 an der Tagesordnung.

Vor diesem Hintergrund wird auch die Absurdität eines zweiten Dauerbrenners der Kärntner (Geschichts-)Politik, die dauernd geschürte Angst vor einer "Slowenisierung" des Landes, deutlich sichtbar. Selbstverständlich gab es nach Ende des Ersten Weltkrieges – ganz im Einklang mit dem gängigen nationalistischen Spruch von der "Selbstbestimmung der Völker" – slowenische Gebietsansprüche auf das mehrheitlich von slowenischsprachigen KärntnerInnen bewohnte Gebiet. Ebenso selbstverständlich hätten viele Kärntner SlowenInnen nach den Erfahrungen mit der Germanisierungspolitik der Ersten Republik und deren mörderischer Steigerung im Nationalsozialismus oder nach dem gemeinsamen Widerstand in der OF einen Zusammenschluss des gemischtsprachigen Gebiets mit Jugoslawien vorgezogen. Tatsächlich allerdings waren es die NationalsozialistInnen, die Teile Sloweniens an Kärnten angeschlossen und von Klagenfurt/Celovec aus terrorisiert hatten. In Klagenfurt/Celovec befand sich beispielsweise die Zentrale der Gestapo, von wo aus auch die Anweisungen an das berüchtigte Gestapo-Gefängnis in Dravograd (Unterdrauburg) erteilt wurden, in dem hunderte RegimegegnerInnen zu Tode gequält wurden. Wenn daher der "Kärntner Heimatdienst" (KHD) im Verein mit anderen politisch weit rechts stehenden KärntnerInnen von einer 1945 geplanten "ethnischen Säuberung der Titopartisanen" in Südkärnten spricht (Der Kärntner. Nr. 61/Okt. 2002, zit. nach Elste/Koschat/Strohmaier 2007, 57), verrät das einiges darüber, wie die Projektion eigener Verbrechen auf andere funktioniert, aber nichts über die historischen Vorgänge.

Lügen, in Stein gemeißelt
Unter "heimattreuen" (sprich: deutschnationalen) KärntnerInnen wurden die, nur als "Verschleppungen" bezeichneten, Verhaftungen durch die jugoslawische Armee, rasch zu einem beliebten Mittel der Stimmungsmache gegen die Kärntner PartisanInnen. Die Diskreditierung der Kärntner OF wiederum galt als "Argument" gegen die Ansprüche der slowenischsprachigen Minderheit als Ganzes. So ist es wohl kein Zufall, dass ab 1947, als der Kampf der "Deutsch-Kärntner" gegen die 1945 eingerichteten zweisprachigen Schulen begann, erstmals ein Zusammenhang zu Kärntner PartisanInnen hergestellt wurde. Tat sich zunächst besonders die Kärntner ÖVP mit ihrem publizistischen Organ, der "Volkszeitung" hervor, legte ab 1952 die Kärntner Redaktion der "Kleinen Zeitung" unter Chefredakteur Hans Dichand mit zwei hetzerischen Artikelserien ("Die Mörder sind unter uns" und "Die blutige Grenze") nach. Darin benutzte die "Kleine" auch eine 1952 von der Sicherheitsdirektion Klagenfurt erstellte und als "streng vertraulich" ausgewiesene "Amtliche Darstellung" der Vorgänge von 1945 – wobei freilich jeder Hinweis auf die Nazi-Vergangenheit der Verhafteten unterblieb. Statt dessen machte man sich an die Schaffung des Mythos, es habe sich um eine Racheaktion gegen jene KärntnerInnen gehandelt, die sich im "Abwehrkampf" bzw. bei der Volksabstimmung von 1920 besonders profiliert hätten. Die Historikerin Brigitte Entner weist demgegenüber darauf hin, dass die "Schwarzen Listen" der jugoslawischen Armee recht konkrete Beschuldigungen gegen die einzelnen Genannten enthalten hätten: "Vielfach sind es Beschreibungen, wie sich die Genannten gegenüber Fremd- und Zwangsarbeitern benommen hätten, wie sie sich an der Entnationalisierungspolitik der Nationalsozialisten im okkupierten Slowenien bereichert hätten, wie sie sich an der Verfolgung von slowenisch sprechenden Kärntner Mitbürgern beteiligt hätten und wie sie zum eigenen Vorteil aber auch aus purer Gehässigkeit nicht vor Denunziationen zurückgeschreckt hätten." (Entner 2007)

Seit den 50er Jahren gehört die Lüge von den verschleppten "Heimattreuen", die sich nahtlos in eine Geschichtserzählung einfügt, in der jedes historische Ereignis auf die "Abwehr des Slawischen" bezogen wird, zum Standardrepertoire jedes strammen "Deutsch-Kärntners" und jeder braven "Deutsch-Kärntnerin". Reizvoll daran ist nicht zuletzt, dass darin NS-Verharmlosung und die Umkehr von TäterInnen und Opfern, die Verleumdung des antifaschistischen Kampfes der PartisanInnen und antikommunistische Stereotype mit traditionellen anti-slowenischen Ressentiments und Minderheitenfeindlichkeit trefflich verbunden werden können. Ihren sichtbarsten Ausdruck findet die deutschnationale Geschichtsfälschung im "Denkmal der Opfer der Kärntner Partisanen" am Klagenfurter Domplatz, das wörtlich an die "verschleppten und ermordeten Kinder, Frauen und Männer" erinnert. Einen Hinweis auf die nationalsozialistische Einstellung der "Frauen und Männer" sucht mensch vergeblich, die "Kinder" entspringen überhaupt der Fantasie der hier mit pompösen Zeremonien "gedenkenden" deutschnationalen Verbände KHD und KAB ("Kärntner Abwehrkämpferbund"). 2002 wurde das Anfang der 90er Jahre errichtete Denkmal erweitert und zu einem altarartigen Klotz mit revisionistischer Inschrift umgestaltet. Propagiert hatte den Ausbau die "Plattform Kärnten" ein Zusammenschluss von "Kameradschaftsbund" (ÖKB), "Ulrichsberggemeinschaft" (UBG), KAB, KHD, "Kärntner Landsmannschaft" und "Verband der volksdeutschen Landsmannschaften". Als Sprecher der "Plattform" trat der Journalist und langjährige "Kleine" Chefredakteur Heinz Stritzl in Erscheinung. Der deutschnationale Zusammenschluss hat sich mittlerweile aufgelöst, da die restlichen Verbände den vorgeblichen inhaltlichen Schwenk des KHD in Richtung einer angeblichen Einigung mit VertreterInnen der Kärntner SlowenInnen nicht mittragen wollten - KAB, UBG und ÖKB "gedenken" allerdings unbeirrt gemeinsam.

Aufarbeitung?
Es ist nicht von vornherein problematisch oder gar falsch die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der unmittelbaren Nachkriegszeit in allen ihren Aspekten aufzuarbeiten. Dazu gehören auch die Grausamkeiten und Verbrechen, die von allen kriegführenden Parteien begangen wurden, und denen sich auch der antifaschistische Widerstand nicht entziehen konnte. Mehr als fragwürdig ist allerdings, wie dies in Österreich meist geschieht. Zunächst werden vermeintliche Gruppen geschaffen, werden "unsere" Toten den "anderen" gegenübergestellt – zu "den anderen" werden dabei österreichische Juden und Jüdinnen ebenso wie Kärntner SlowenInnen und alle jene, die sich aus verschiedensten Gründen gegen den Nationalsozialismus stellten. Ganz unverhohlen werden so die ausgrenzenden Kriterien der NS-Volksgemeinschaft weiter getragen. Die rechts-revisionistische Propaganda geht dabei noch weiter und schwingt sich zu moralischen Urteilen über jene "anderen" auf. Demgegenüber erheben kritische WissenschafterInnen die Forderung, dass jede Thematisierung des Leidens der österreichischen und deutschen Bevölkerung durch den Verweis auf deren freiwilligen Beitrag zum Nationalsozialismus und durch die Geschichten der NS-Opfer zu ergänzen ist (vgl. Benke/Wodak 2001). Antifaschistische Geschichtspolitik muss einen Schritt weitergehen. Wir müssen uns bewusst sein, dass es keine "reinen" historischen Fakten gibt (wohl aber Lügen, die den Fakten widersprechen), sondern dass jede Geschichte der Interpretation bedarf. Es kann für uns nicht egal sein, wofür (oder wogegen) die "Opfer" einer bestimmten historischen Situation, oder eines juristisch definierten Verbrechens kämpften. Die Einmaligkeit und das Ausmaß der NS-Verbrechen sowie ihre Fundierung im mörderischen Antisemitismus und Rassismus des Nationalsozialismus macht den großen Unterschied aus, der den antifaschistischen Kampf als Ganzes zu einem politisch richtigen und ethisch gerechtfertigten Kampf macht. Nur vor diesem Hintergrund lassen sich Übergriffe, Willkürakte und Grausamkeiten diskutieren, ohne das Geschäft der rechten RevisionistInnen zu betreiben. Sonst wird die angebliche "Aufarbeitung" nur allzu schnell zur Geschichtsfälschung, die im schlimmsten Fall eine Aufrechnung nationalsozialistischer Verbrechen mit jenen "der anderen" vornimmt, die Opfer des Nationalsozialismus ganz verschweigt oder – und das ist noch die "harmlosere" Variante – verschiedene Verbrechen unter Ausblendung der ideologischen Grundlagen bezuglos nebeneinander stellt. In jedem Fall wird so "vergessen" gemacht, dass einzig und allein der Nationalsozialismus und seine bereitwillige Unterstützung durch die deutsche und österreichische Bevölkerung die Ursache für alle Ereignisse der Nachkriegszeit waren.

Literatur:
* Entner, Brigitte (2007): Vergessene Opfer? Die "Verschleppten” vom Mai 1945 im Spiegel historischer Aufarbeitung und regionaler Geschichtspolitik - Link, PDF
* Sima, Valentin (2006): Zwischen Mythen und Realität. Erinnerungspolitik in Kärnten nach 1945. In: Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 2/2006 - Link, PDF
* Elste, Alfred/Koschat, Michael/Strohmeier, Paul (2007): Opfer, Täter, Denunzianten. Mohorjeva/Hermagoras.
* Benke, Gertraud/Wodak, Ruth (2001). Fullfilling One's Duty? Memorizing what has not been. In: Lappin/Schneider (Hg.): Die Lebendigkeit der Geschichte. Röhrig Universitätsverlag.