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... konnten am Morgen des 12.März als erster "Gau" die vollständige "Machtübernahme" melden...
Vom "Anschluss" in Kärnten/Koroška.

70 Jahre nach dem "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland wird vielerorts noch immer von einer "gewaltsamen Okkupation", und von Österreich als "erstem Opfer"des Nationalsozialismus geschwafelt. Dass der März 1938 für viele Menschen kein so negatives Ereignis war, zeigen die Berichte und Bilder von tausenden jubelnden Menschen auf den Straßen in ganz Österreich. Auch in Kärnten/Koroška wurden Hakenkreuzfahnen gehisst und große Reden auf, zum Bersten gefüllten, Plätzen geschwungen. Aber etwas lief doch ein wenig anders: Bereits am 11. März, also einen Tag früher als im restlichen Österreich, war der Prozess der Machtergreifung der NationalsozialistInnen in Kärnten/Koroška beinahe in allen Bereichen abgeschlossen. Der illegale NS-Funktionär Wladimir Pawlowski erhielt das Landeshauptmannsamt, in der Villacher Jägerkaserne wurde die Hakenkreuzfahne gehisst und das Klagenfurter Bundesheer marschierte gemeinsam mit den NationalsozialistInnen bei einem nächtlichen Fackelzug.

NS-Vorfeldorganisationen: Die Kärntner Vereinskultur
Dass der "Anschluss" in Kärnten/Koroška beinahe gewaltlos und besonders schnell vor sich ging, lässt sich durch die starke Durchdringung der kärntner Gesellschaft von NationalsozialistInnen und NS-Verbänden erklären. Bereits kurz nach dem 1. Weltkrieg und dem "Kärntner Abwehrkampf" erstarkten die deutschnationalen Verbände in Kärnten/Koroška. So zog beispielsweise der "Verband der Alldeutschen" bereits 1918 in die Kärntner Landesversammlung ein. Der propagierte Anschluss an Deutschland sowie Antislawismus und Antisemitismus standen im Mittelpunkt ihrer Politik. Sie verbreiteten die Vorstellung eines "Grenz- und Auslandsdeutschtums" Kärntens, das in qualvollem Kampf die Grenze des deutschen Volkstums verteidigte".
Auch andere deutschnationale und nazistische Verbände fanden großen Zuspruch in der kärntner Bevölkerung. Der Verein "Deutscher Schulverein Südmark", der "Deutsche Turnerbund" oder der "Deutsche und Österreichische Alpenverein" bauten rasch ein großes Netz an Ortsgruppen auf. Als Fernziel wurde in allen Programmen die Herstellung einer "Volksgemeinschaft aller Deutscher" festgeschrieben. Der Verein "Südmark" errichtete beispielsweise am Rande des deutschen Sprachgebietes (deutschsprachige) Schulen um die "deutsche Kultur" zu schützen.
Der "Turnerbund", dessen "Turnvater Jahn" bis heute im Klagenfurter Herbertpark ein Denkmal gesetzt ist, und nach dem noch immer zahlreiche Gebäude und Straßen in ganz Österreich benannt sind, wollte durch das Turnen das deutsche Volk wehrhaft machen. Neben vielen Mitgliedern war auch der Führungskader für die NSDAP tätig. Der "Turnerbund" hatte 1933 bereits knapp 113 000 Mitglieder - ein riesiges Potential für die Nazis. Aber auch zahlreiche Jugendvereine entstanden, die das Ziel hatten, das "Deutschtum vor Internationalisierung und Judentum" zu schützen. Die größten ideologischen und personellen Berührungspunkte mit der NSDAP bildeten die nationalen und schlagenden Verbindungen und Burschenschaften. Aus den klagenfurter Burschenschaften "Normannia", "Markomannia" und "Teutonia" sowie aus der villacher "Arminia" ging so manches NSDAP-Mitglied und Führungspersonal hervor.
Ein weiterer wichtiger Verein war der 1924 in "Heimatbund" umbenannte "Kärntner Heimatdienst". Er wurde bereits wenige Jahre nach der Gründung von Nationalsozialisten geleitet. Unter anderem betrieb der "Kärntner Heimatbund" (KHB) die "Kärntner Bodenvermittlungsstelle", die dafür zuständig war, slowenische Betriebe in "deutsche Hände" zu bringen und die auch im Nationalsozialismus weiter geführt wurde. Viele der illegalen NationalsozialistInnen organisierten sich während der Verbotszeit der NSDAP im Austrofaschismus im KHB. Unter diesem Tarnmantel konnten so auch weiterhin ungestört NS-Kundgebungen abgehalten werden.
Das kärntner Vereinswesen war seit dem "Abwehrkampf" geprägt von ideologischen NS-Gedankengut: völkische Mythen, großdeutscher Nationalismus, die Konstruktion eines "slawischen" Feindbildes, Antisemitismus und der Mythos der "Kärntner Schicksalsgemeinschaft", die nur durch das "Deutschtum" gerettet werden könne, ließen sich nahtlos mit der NS-Ideologie verbinden. Für diese Verbindung sorgten zahlreiche NS-FunktionärInnen in den Vereinen.

Überdurchschnittlich viele Mitglieder: Die Kärntner NSDAP
Aber nicht nur das völkische Vereinswesen, auch die NSDAP entwickelte sich in Kärnten/Koroška rasant. Bereits kurz nach dem Ende des 1. Weltkrieges wurde die DNSAP ("Deutschnationalsozialistische Arbeiterpartei") bundesweit gegründet, die sich später in NSDAP ("Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei") umbenannte. Ab 1922 wurden in Kärnten/Koroška Ordnertruppen und damit eine erste paramilitärische NS-Organisation gegründet, aus der dann der "Vaterländische Schutzbund", Keimzelle der SA, entstand.
1923 unterstellte sich die österreichische DNSAP, nach einigen internen Querelen der Führung Hitlers. Ab Anfang der 1930er Jahre wurde die Kärntner NSDAP endgültig zur Massenpartei- und Bewegung. 1932 wurde die größte Zahl an NSDAP-Beitritten in Kärnten/Koroška registriert. Insgesamt gab es in Kärnten/Koroška doppelt so viele Parteimitglieder wie das ihrem Bevölkerungsanteil entsprochen hätte. Auch der Anteil an illegalen NationalsozialistInnen vor 1938 war proportional gesehen in Kärnten/Koroška am Größten. Dies lässt sich, neben der stark deutschnational geprägten Parteienlandschaft und dem deutschnationalen Vereinswesen, auch durch die betont deutsche Haltung der Sozialdemokratie erklären. In Kärnten/Koroška gab es also kaum politische oder gesellschaftliche Kräfte in der Zwischenkriegszeit, die dem deutschnationalen Konsens widersprochen hätten.
Eine weitere Besonderheit des Aufstiegs der Kärntner NSDAP ist der Ablauf des Juliputsches, im Juli 1934. Am 26. Juli versuchten NationalsozialistInnen in ganz Österreich öffentliche Gebäude zu besetzen und so die Dollfuß-Regierung zu putschen. Der versuchte Umsturz wurde von den AustrofaschistInnen beinahe überall nach wenigen Stunden unter Kontrolle gebracht. In Kärnten/Koroška begann der Putsch erst einige Stunden später als im restlichen Österreich, im Lavantal. Öffentliche Dienststellen der Sicherheitsbehörde wurden angegriffen und besetzt, regierungstreue Wehrverbände entwaffnet und FunktionärInnen des Austrofaschismus verhaftet.
Mit Wolfsberg/Volsperk gelang es den NationalsozialistInnen eine wichtige Region unter Kontrolle zu bringen und bis zum nächsten Tag halten. Während der Putsch in ganz Österreich bereits vorbei war, wurde in Kärnten/Koroška erst am 27. Juli damit angefangen den Aufstand durch das austrofaschistische Bundesheer niederzuschlagen. In Kärnten/Koroška gab es dabei 97 Tote und 3184 festgenommene Nazis. Allein 160 LehrerInnen wurden nach dem Putschversuch festgenommen. Vergleichend dazu: in Salzburg wurden nur zwei Lehrer verhaftet. Allein diese Zahlen zeigen, wie stark Kärnten/Koroška 1934 bereits nazifiziert war und die lange Dauer des Putschversuchs bestätigt, dass bereits viele NationalsozialistInnen in führenden Positionen im austrofaschistischen Ständestaat saßen. Während des anschließenden NSDAP-Verbots wurde die NS-Ideologie in zahlreichen Verbänden vor allem in Kulturund Sportvereinen weiter gepflegt. Anfang 1938 hatte das Versteckspiel ein Ende. Die NationalsozialistInnen stellten offen Machtansprüche an die Landesregierung. Marschierende HJ- und SA-Truppen sowie wehende Hakenkreuzfahnen prägten zunehmend das Straßenbild. Am 21.Februar 1938 wurde Hubert Klausner zum Landesleiter der NSDAP Österreich berufen. Damit saßen kurz vor dem Anschluss nun drei Kärntner an führender Stelle: Hubert Klausner, Friedrich Rainer und Odilo Globocnik, deren NS-Karriere sich im Nationalsozialismus weiter fortsetzen sollte.

...als erster "Gau": Der "Anschluss"
Bereits seit dem Treffen zwischen Schuschnigg und Hitler am 12. Februar hatte sich in ganz Österreich eine Art Doppelherrschaft etabliert. In Kärnten/Koroška wurde beispielsweise das Bundesheer vom "NS-Soldatenring" (NSR) kontrolliert. Dazu kommt, dass bereits ab Mitte der 1930er Jahre Staatsapparat, Wirtschaft und Polizei immer stärker von NationalsozialistInnen besetzt wurden. Durch die guten Kontakte zur Bundesleitung der NSDAP dürften die Kärntner NationalsozialistInnen schon früh über die Anschlusspläne Bescheid gewusst haben, und handelten bereits vor den offiziellen Anschluss-Befehlen Klausners auf eigene Faust. Bereits am 11. März patrouillierte der NS-Ordnungsdienst vor dem Polizeikommissariat in Klagenfurt/Celovec und gegen Abend waren die wichtigsten öffentlichen Institutionen wie die Landes- und Bezirkshauptmannschaften, die Landwirtschaftskammer, das Gebäude der "Vaterländischen Front" und die Redaktion des "Kärntner Tagblattes" in den Händen von SA und SS.
Ein weiteres Beispiel ist Villach/Beljak. 1000 SA-Männer marschierten bewaffnet vor das Polizeigebäude um dieses zu besetzen. Das war aber gar nicht nötig, denn die Polizeieinheit war bereits in "mustergültiger" Ordnung mit Hakenkreuz-Armbinden angetreten. Durch die rasche und widerstandslose "Machtübernahme" war am Morgen des 12. März bereits die gesamte Verwaltung im Sinne des Nationalsozialismus umgestellt worden. Eine militärische Okkupation fand in den Augen der Bevölkerung nicht statt. Die Kärntner NSDAP konnte als erster "Gau" die vollständige "Machtübernahme" nach Wien melden.
Kärnten/Koroška war auch schon in den 1930er Jahren ein Sonderfall. Durch die starke antislawistische Ideologie und Mystifizierung des eigenen Schicksals als Grenzland waren der kärntner Gesellschaft die ideologischen Elemente des NS nicht gerade fremd. Hinzu kommt eine besondere politische Landschaft, in der das nationale Lager und die Sozialdemokratie stark und die Christlichsozialen sehr schwach waren. Die NSDAP wurde außerordentlich schnell stark, was dazu führte, dass Kärnten/Koroška das Kampfzentrum des Juliputsch 1934 wurde und schließlich der erste NS-Gau Österreichs.
Heute wird noch immer gerne von "Anschluss" und "militärischer Okkupation" gesprochen wenn es um die "Machtübernahme" der NSDAP in Österreich geht. Erst am 12. März 2008, im Rahmen einer Veranstaltung zum "Anschluss" tönte der ÖVP-Politiker Otto Habsburg erneut, dass Österreich das "erste Opfer" gewesen wäre und den Jubelkundgebungen am Heldenplatz keine Bedeutung zuzumessen sei, schließlich seien heute "bei jedem Fußballspiel mehr Menschen anwesend" als 1938. Angesichts der Kontinuität von Deutschnationalismus, Antisemitismus und Antislawismus von weit vor dem Nationalsozialismus bis heute, ist es nicht verwunderlich, dass sich die Aufarbeitung der Verbrechen der NationalsozialistInnen bis heute auf kleine Gruppen beschränkt, während die kärntner Gesellschaft weiter im "Abwehrkampf-Mythos" schwelgt.

Literatur
Burz, Ulfried: Die nationalsozialistische Bewegung in Kärnten (1918-1933). Vom Deutschnationalismus zum Führerprinzip. Klagenfurt, 1998.
Danimann, Franz (Hrsg.): Finis Austriae. Wien/Münschen/Zürich, 1978.
Rumpler, Helmut (Hrsg.): März 1938 in Kärnten. Fallstudien und Dokumente zum Weg in den "Anschluß". Klagenfurt, 1989.
Valentin, Hellwig: Der Sonderfall. Kärntner Zeitgeschichte 1918-2004. Laibach/ Wien, 2005.