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Der Kärntner Konsens
vom Erinnern und Gedenken in Kärnten/Koroška

JedeR, die/der schon einmal in Kärnten/Koroška unterwegs war und ein wenig aufmerksam die Umgebung betrachtet hat, weiß, dass es kaum einen Ort, kaum ein Dorf, oder auch kaum einen Friedhof gibt, auf dem keine einschlägigen Gedenktafeln zu finden sind. Gedenktafeln, die den "Kärntner Abwehrkampf" gegen die "slawische Bedrohung" ehren, die an einzelne mutige "heimattreue Abwehrkämpfer" erinnern sollen und feiern, dass der letzte "Slawe" über die Grenze geschickt wurde. Neben diesen Abwehrkampftafeln finden sich beinahe in jedem Ort Denkmäler für die Gefallenen der Weltkriege. Tafeln, auf denen bis heute unkommentiert die Namen der toten Nazis des jeweiligen Ortes aufgelistet sind. Fast immer ziert das Emblem des Kameradschaftsbund die Stelle, die selbstverständlich mit frischen Kränzen behängt ist.

In dieser Unmenge von Denkmälern und Erinnerungsstätten zeigt sich der Gründungsmythos Kärntens in Stein gemeißelt. Der Kärntner Abwehrkampf, wird bis heute als Ursprung und Bezugspunkt der "Kärntner Nation" gesehen und als solcher gefeiert und verehrt. Der – wie nach dem Zerfall der KuK Monarchie vielerorts übliche Grenzkonflikt zwischen Kärnten und dem neu gegründeten SHS Staat wurde am 10. Oktober 1920 von den Siegermächten durch die Verordnung einer Volksabstimmung über den Verbleib Südkärntens bei Österreich oder Jugoslawien beendet. 59 Prozent der Abstimmungsberechtigten KärntnerInnen, unter ihnen viele slowenischsprachige Menschen, stimmten für den Verbleib bei Österreich.
Bald danach erstarkten die Kärntner Heimatverbände wie zum Beispiel der "Kärntner Heimatbund" (KHB) und die Repressionen gegen die slowenisch sprechende Bevölkerung nahm zu. So wurde eine bewusste Trennung zwischen "Slowenen" und "Windischen" konstruiert. Als "Windische" galten jene Kärntner SlowenInnen, die als "deutschfreundlich" und "assimilierbar" bezeichnet wurden. Sie teilten den deutschnationalen Konsens in Kärnten und waren nicht selten in deutschnationalen und später nationalsozialistischen Organisationen aktiv. In dieser Konstruktion gibt es also die Norm der "deutschen KärntnerInnen", das "Andere" die "SlowenInnen" und in von der Mehrheit akzeptierter Form: die "Windischen".

Die rassistische, antislawistische und deutschnationale Prägung Kärntens ermöglichte dem aufkeimenden Nationalsozialismus schnell Fuß zu fassen und ist bis heute in der Erinnerungskultur Kärntens stark verankert. "Kärnten frei und ungeteilt" gilt also bis heute als die Konstante in der Kärntner Geschichtspolitik. Im Mittelpunkt der jährlichen Feiern zum 10. Oktober steht oft der "deutsche Sieg" im "Abwehrkampf". Dieses Geschichtsbild durchdringt beinahe alle Lebensbereiche. So wird in den Schulen auf fast schon religiöse Art und Weise versucht ein, laut Weisung des Landes: "stolzes Bewusstsein sowie ein vernünftiges und korrektes Bild der Geschichte"(1) zu vermitteln.
In der ausgeprägten Kärntner Verbändestruktur ist der 10. Oktober selbstverständlich auch das jährliche Highlight und der Kärntner Abwehrkampf alltägliches Thema. Dies erklärt sich aus der tiefen Verwurzelung der deutschnationalen Heimatverbände wie dem "Kärntner Heimatdienst" (KHD) und dem "Kärntner Abwehrkämpferbund" (KAB) in der Gesellschaft. Ihre Mitglieder finden sich in sämtlichen politischen und wirtschaftlichen Positionen, und ein Großteil der Freizeitorganisationen wie Chöre, Jugendvereine, Brauchtumsgruppen oder ähnliches stehen in engem ideellen und/oder personellen Verhältnis zu den Heimatverbänden. So wird das Kärntner Geschichtsbild ständig reproduziert und damit der Kärntner Antislawismus aufrecht erhalten. So feiern sich die DeutschkärntnerInnen ständig selbst, während die Angst vor der "Slowenisierung" immer größer wird. Dies führt zu einem alles überlagernden Wir-Gefühl, und einem deutschnationalen Konsens, in dem sich die KärntnerInnen so einig sind, dass alle, die etwas gegen ihn sagen, als "Verräter" gelten.

Der "Kärntner Abwehrkampf" als historischer Bezugspunkt bedeutet neben einem Quell der Einigkeit für die KärntnerInnen auch, die Gründung Kärntens auf den 10.10.1920 zu datieren, während das restliche Österreich sich auf die Gründung der 2. Republik 1955 bezieht. Das heutige Kärnten/Koroška lebt ungebrochen in der Kontinuität von 1920 und blendet damit den "Anschluss" 1938 und den Nationalsozialismus aus seiner Geschichtsschreibung nicht nur gänzlich aus, sondern macht ihn so zu einem "normalen" Teil seiner Geschichte. Der Nationalsozialismus stellte in Kärnten also keine Zäsur, sondern vielmehr logische Kontinuität dar, "eine Art zweite Befreiung, von der man sich eine endgültige Lösung der "Kärntner Frage" erwartete"(2). Diese Kontinuität beschreibt auch der Kärntner Abwehrkämpfer und Nationalsozialist Hans Steinacher: für ihn war es selbstverständlich, dass der "Abstimmungskampf nicht um den Anschluss an Österreich, sondern um die großdeutsche Zukunft" geführt würde. Da sie aber wegen "der Interalliierten" nicht in der Lage waren "Deutschland" zu rufen, […] "Österreich" nicht sagen wollten, so wurde der Kampfruf eben "Kärnten"(3).
Auch während des Nationalsozialismus nahm die Kärntner NS-Führung immer wieder gerne Bezug auf den "Abwehrkampf", da dieser ein zentrales Element bei der Durchsetzung ihrer Gesamtinteressen markierte. So wurde zwar der Landesfeiertag nicht mehr als solches begangen, wohl aber das Bild der "Kärntner, die 1918 als die ersten Deutschen gegen fremde Gewalt aufstanden" geprägt. Nach dem Ende des Nationalsozialismus gesellte sich zu den bereits vorhandenen Geschichtsmythen Kärntens noch ein weiterer. Claudia Fräss-Ehrfeld schrieb 2000 in "Geschichte Kärntens": "Trotzdem stand uns das grausamste Kapitel dieses Abschnitts unserer Geschichte noch bevor die Verschleppung und Ermordung heimattreuer Kärntner durch Titopartisanen nach Kriegsende 1945."(4)

So wurden und werden die Jahre 1920 und 1945 als jene der slawischen Aggression gleichgesetzt und dabei die Ermordung von einigen NationalsozialistInnen und die Nachkriegszeit als das eigentlich Schreckliche angesehen. Die Vertreibung und Ermordung der jüdischen Menschen und Kärntner SlowenInnen spielen in Kärnten/Koroška bis heute keine Rolle sehr wohl aber die Opferwerdung der "heimattreuen DeutschkärntnerInnen". Die Historikerin Lisa Rettl stellt eine "Integration der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in das Gedächtnis der KärntnerInnen" durch "Auslassungen und Gleichsetzung der Ereignisse von 1920 und 1945" sowie das Fehlen des "Jahres 1938 als zentrales Bezugsjahr" und eine Bewertung der Nachkriegszeit als "eigentliche Schreckenszeit" fest(5).

Wer Beweise für die tatsächliche Dominanz dieser Mythen in der Kärntner Geschichtsschreibung sucht, muss sich nur die unzähligen Denkmäler für diverse "Abwehrkämpfer" gegen den "slawischen Aggressor" oder die Gedenkstätte am Kärntner Ulrichsberg ansehen. Aber auch Denkmäler die erst vor wenigen Jahren errichtet wurden, reihen sich in den Kärntner Geschichtskonsens ein: So wurde im Jahr 2000 ein "Abstimmungsradweg" entlang der Drau errichtet, an dem auch ein Denkmal für Oskar Kraus zu finden ist. Er wird als Abwehrkämpfer verehrt; dabei wird lediglich das kleine Detail verschwiegen, dass er etwa 20 Jahre später NS-Bürgermeister in der Stadt Villach wurde.

Dieses sich bis heute immer wieder reproduzierende deutschnational geprägte Geschichtsbild, der so genannte "Kärntner Konsens" erklärt wohl so manches an Politik und Gesellschaft in Kärtnen/Koroška.

Fußnoten
1) Koroschitz/Werner/Rettl, Lisa: Ein korrekter Nazi. Oskar Kraus, NS-Oberbürgermeister von Villach. Kärntner Erinnerungsk(r)ämpfe. Drava 2006, 24f
2) Rettl: 2006, 63
3) Steinacher: 1943, zit. nach Rettl: 2006, 46
4) Fräss-Ehrfeld, Claudia: Geschichte Kärntens 2000, 199
5) Rettl: 2006, 64