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DER STANDARD, 07. Oktober 1996

Ulrichsbergtreffen: VP demonstriert Kontinuität im Wandel
Mißbrauchte Traditionspflege

Ein Ex-VP-Mandatar als Festredner, namhafte VP-Landespolitiker unter den Ehrengästen: Aurelius Freytag von der VP-"Plattform für offene Politik" wirft seinen Parteifreunden "absichtsvolle Kumpanei mit entstellenden Geschichtsbildern" vor.

"Wie bereits 1995 hält auch 1996 wieder ein ÖVP-Politiker die Festrede beim Ulrichsbergtreffen, damals - vielleicht als Ausfluß falsch verstandener oder aus opportunistischen Gründen willfährig mißbrauchter Traditionspflege - Verteidigungsminister Werner Fasslabend, heuer der ehemalige Bautensprecher Otto Keimel. Soviel absichtsvolle Kumpanei in der Volkspartei mit entstellenden Geschichtsbildern macht Angst, weil diese die Basis für neues Unrecht und neue Konflikte bilden können. Bereits im Vorfeld hat Keimel seinen Erregungszustand angesichts der in Klagenfurt stattfindenden Ausstellung über die "Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" eröffnet: Das sei die Arroganz der späten Geburt. Die Mehrheit der Soldaten hätte mit Verbrechen nichts zu tun gehabt, und das Ulrichsbergtreffen sei in Wahrheit eine Friedenswallfahrt zur Versöhnung ehemaliger Gegner - nur ist es seltsamerweise für die durch den Krieg am stärksten betroffenen "Gegner", besser: Opfer, nicht gedacht.

Geschichtsverzerrung
Sehr wahrscheinlich hatte die Mehrheit der deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg mit Verbrechen zu tun, als notwendige Folge eines Krieges, der jedenfalls in Polen, in Rußland, am Balkan, in Griechenland und auch in Italien verbrecherisch geführt wurde. Das heißt nicht, daß die Mehrheit der damaligen Soldaten Verbrecher sind. Primo Levi hat auf die breite moralische Grauzone hingewiesen, in der sich die Täter bewegten und die Opfer oft bewegen mußten. Bloß im nachhinein die eigene Zugehörigkeit zur Gruppe der Gutmenschen zu behaupten ist politisch wenig hilfreich. Wir müssen genaues Augenmerk auf die Schwierigkeiten der Opfer im Umgang mit diesen Verbrechen, aber auch auf die Schwierigkeiten der durch die Aufdeckung der Verbrechen Erregten richten. Denn wenn Geschichte etwas bewirken soll, sind die historischen Fakten möglichst präzise zu erkennen und darzustellen, die politischen und lebensgeschichtlichen Gründe aufzuarbeiten, warum dies heute vielen so schwer fällt, und die Gefahren dieser Schwerfälligkeit für die aktuelle Politik aufzudecken.

Zum Schrecklichen des Ulrichsbergtreffens zählt, wie es - stets in die Nähe des Jahrestages der Kärntner Volksabstimmung am 10. Oktober gerückt - einen die Wahrheit entstellenden Zusammenhang von Abwehrkampf und den Kämpfen am Balkan in beiden Weltkriegen imaginiert; so operierte bereits die Wehrmacht. Etwa General Franz Böhme, ein Österreicher, der in seiner Verfügung vom 25. September 1941 schrieb: "Eure Aufgabe ist in einem Landstreifen durchzuführen, in dem 1914 Ströme deutschen Blutes durch die Hinterlist der Serben, Männer und Frauen, geflossen sind. Ihr seid Rächer dieser Toten. Es muß ein abschreckendes Beispiel für ganz Serbien geschaffen werden, das die gesamte Bevölkerung auf das schwerste treffen muß." Am 10. Oktober 1941 (!) ordnete Franz Böhme an, für jeden getöteten oder ermordeten Soldaten oder Volksdeutschen 100 Geiseln, für jeden verwundeten 50 Geiseln zu erschießen. Zwecks nationalsozialistisch-logischer Synergie wurden im KZ bereitgehaltene Juden ermordet, oft von Wehrmachtssoldaten, nicht immer Antisemiten, aber in einem brutalisierenden Krieg, wenn auch nur für einen Abschnitt ihres Lebens, moralisch verwahrloste Normalbürger.

Die Geschichte Kärntens im Verhältnis zu jener des Balkans ist von Werfungen geprägt, die weit vor die NS-Periode zurückreichen und bis heute wirken. Sehr wahrscheinlich wurde die Wahrnehmung der am Balkan tätigen Soldaten während des Krieges durch historische Lasten verzerrt und verfremdet. Antiserbische Ideologie, Antisemitismus und das durch angebliche soldatische Tugenden anerzogene Partisanenbild vermengten sich zu einem letztlich mörderischen Amalgam. General Hans Röttiger erklärte nach dem Krieg, daß der "militärische Bandenkampf des Heeres" planmäßig genutzt wurde, um "die rücksichtslose Liquidierung des Judentums und anderer unerwünschter Elemente" zu ermöglichen. Die Grausamkeiten waren unübersehbar und wurden - in größerem oder geringerem Maß - von den Wehrmachtsangehörigen wahrgenommen. Mehr als 50 Jahre danach muß man zur Erkenntnis fähig sein, daß der Partisanenkrieg durch die Geiselerschießungspolitik der deutschen Wehrmacht angeheizt und brutalisiert wurde, daß deportierte Juden keine Partisanen waren und die Erschießung jüdischer Geiseln vielfach von Soldaten betriebener Massenmord war.

Falsches Zeichen
Der Mantel der Humanität auf unserer Gesellschaft erscheint dünn. Den Zweiten Weltkrieg in ein Realitätsbild "normaler" Kriege - schrecklich genug - zu pressen, ist verfehlte und skandalöse Politik. Als prominenter Politiker dieses Landes zur Geschichtsverzerrung beizutragen bedeutet, ein weiterhin oft von Ressentiments, Xenophobie und Sprachunfähigkeit geprägtes Verhältnis zu unseren Nachbarn am Balkan zu verantworten.

ÖVP-Politiker wie Otto Keimel, Harald Scheucher und Werner Fasslabend setzen mit ihren Auftritten am Ulrichsberg ein Zeichen. Es ist grundfalsch.

Aurelius Freytag, Gründungsmitglied der VP-"Plattform für offene Politik", ist Jurist in Wien.